Der Weg in die Küche wurde ihm zu weit, und die wenigen Minuten, die er warten musste, bis der Kaffee gebrüht war, erschienen ihm wie Verschwendung. Was man tun könnte in vier oder fünf Minuten! Zeitung lesen, aufs Klo gehen, die schmutzigen Tassen vom Vorabend auswaschen, die Weingläser kurz mit dem Tuch polieren, wo war noch mal das Tuch? In der Wäsche, unten im Keller, das dauerte zu lange, um innerhalb des Zeitfensters wieder zurück zu sein – und dann stand einer da und starrte zum Fenster hinaus, und hinter ihm türmten sich die Möglichkeiten, versammelten sich die verpassten Chancen, und er scheiterte sogar daran, vier oder fünf Minuten sinnvoll zu nutzen. Wie sollte er da eine halbe Stunde bewältigen oder eine ganze oder gar einen Tag?
Die Autorin erzählt in dieser Geschichte von zwei Familien, der gemeinsame Strang sind die verlassenen Kinder. Die Brüder Lew und Manuel wurden von ihren Eltern zurückgelassen. Als Lew als Erwachsener die Nachricht vom Tod seiner Mutter erhält, entscheidet er sich, den Vater in Indien zu besuchen, um die Wahrheit herauszufinden. In vielen Rückblenden wird Stück für Stück aufgelöst, was damals geschah. Vieles bleibt aber auch im Dunkeln. Der zweite Erzählstrang erzählt die Geschichte von Ira und ihrer bunt zusammen gewürfelten Familie. Evi in der Bäckerei, der von seiner Mutter verlassene Fido, der mit seinem Großvater Tadija aus der Heimat nach Deutschland gekommen ist.
Obwohl sich die Geschichte mit komplizierten und schwierigen Familienverhältnissen auseinandersetzt, ist sie in einem völlig unaufgeregten Ton geschrieben, als wäre es ein Märchen oder etwas, was vor langer Zeit passiert wäre, woran sich kaum jemand mehr erinnert. Die Wunden sind verheilt und sind es doch nicht und vielleicht ist es das, was mich nicht richtig reinrutschen hat lassen in diese Lebenswelt. Seltsam distanziert fühlte mich mich beim Lesen.
Die Dinge entscheiden sich von ganz allein, wenn man ihnen nur genügend Zeit lässt.
Reading Challenge: A book recommended by a friend
Empfohlen von der Kaltmamsell. Wir sind nicht direkt befreundet, aber ich lese ihren Blog schon so lange, dass es sich so anfühlt.
Halbzeit: Im ersten Halbjahr 2015 habe ich 20 Bücher geschafft. Zum Vergleich habe ich mir die Statistik des Jahres 2013 angeschaut. Da hatte ich im ersten Halbjahr 27 Bücher gelesen, deutlich mehr als im zweiten Halbjahr, wo es nur 20 waren. Aber ich gebe nicht auf und habe bereits viele weitere Bücher für die Reading Challenge ausgesucht und geplant. Und kürzlich habe ich mich ernsthaft gefragt, wie ich eigentlich sonst die Bücher ausgesucht habe, die ich lesen möchte. Die Reading Challenge verändert die Lesegewohnheiten und erweitert den Horizont.