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Erfahrungsbericht Sachbuch

Katja Kullmann – Generation Ally

CN: Andeutung sexueller Handlungen und sexueller Belästigung


Dieses Buch hat (in meinem Besitz) eine Geschichte und ich werde sie erzählen. Es begab sich kürzlich, dass ich aus aktuellem Anlass der Ansicht war, es wäre sinnvoll, meine für nächstes Jahr geplante Buch-Challenge frühzeitig zu starten. Inzwischen haben sich die Informationen wieder geändert und die Buch-Challenge des aktuellen Jahres steht wieder im Vordergrund. Nichtsdestotrotz habe ich aber nun dieses Buch, das ich vor der Existenz dieses Blogs erworben und gelesen habe, einem zweiten Blick unterzogen und muss nun wohl oder übel meine Beziehung/Meinung dazu einem Update unterziehen.

In meinen Zwanzigern war ich ein großer Fan der TV-Serien Ally McBeal und Sex and the City. Heute kann ich im Rückblick sagen, dass ich damals zutiefst orientierungslos war, konfrontiert mit dieser riesigen Palette an Entscheidungsmöglichkeiten, die einem als junge Erwachsene (mit gewissen Privilegien) offen stehen. Die Protagonist:innen der oben genannten TV-Serien waren immer etwas älter als ich (laut Katja Kullmanns Definition gehöre ich nicht zur Generation Ally, ich wurde erst nach dem von ihr festgesetzten Zeitraum geboren). Diese TV-Serien der späten 1990er-Jahre zeigten Frauen, die auf verschiedene Arten erfolgreich in ihrem Beruf waren, sie hatten aber genauso Sorgen und Unsicherheiten. Sie scheiterten an und in Beziehungen und machten trotzdem immer weiter. Ich stelle mir vor, dass ich ihre „Gesellschaft“ damals als tröstlich empfand, mich weniger allein fühlte in der „Gemeinschaft“ mit anderen Frauen, die stolpern, manchmal nicht weiter wissen und trotzdem ihren Weg gehen.

Die Autorin Katja Kullmann hat sich in den späten 1990er-Jahren Ally McBeal und ihre Epochengenoss:innen zum Aufhänger genommen, um eine Analyse (?) zu verfassen zum Thema: Warum es heute so kompliziert ist, eine Frau zu sein. Der Zeitrahmen Heute beschreibt in dem Fall die späten 1990er-Jahre, das Buch wurde 2002 veröffentlicht. Basis ihrer Analyse sind ihre eigenen Erfahrungen, die sie als Heranwachsende in Deutschland gemacht hat. Dabei wechselt sie zwischen dem Herumwerfen von Klischees in alle möglichen Richtungen und einem Grundgejammer über Mann, Frau und Gesellschaft sowieso. Und hier füge ich nun (in der 34. Überarbeitung dieses Texts) die Grundfrage ein, die ich bis jetzt nicht abschließend beantworten konnte: Ist es eine Analyse? Ist es Satire? Will die Autorin sich beschweren über die Komplexität des heutigen (damaligen) Frauenlebens? Ruft sie dazu auf, unsere Freiheiten besser zu nutzen? Und was hat das eigentlich mit Ally McBeal zu tun?

Hier hatte er also die vergangenen Jahre überdauert, der Feminismus: in den muffigen Fachschafts-Bibliotheken, in den Gewerkschaftshäusern mit den filzigen Teppichböden.

Wo ich mich selbst (bzw. mein jüngeres Ich) wieder erkannt habe, ist Kullmanns Zugang zum Feminismus. Sie beschreibt ausführlich die Haltung, mit der ich selbst Anfang 20 durchs Leben gegangen bin: Das mit dem Feminismus und der Gleichstellung, das muss doch alles schon erledigt sein, das kann ja wirklich nicht sein, dass das heute noch ein Thema ist. Sie schreibt von bereits damals erlebten Debatten über Genderschreibweisen (vor 25 Jahren! und das geht im Jahr 2025 immer noch so!), die sie und ihre Geschlechtsgenossinnen (und auch ich damals) als „Luxusproblem“ betrachteten, die mit dem realen Leben nichts zu tun haben. Mir wurde als Kind vermittelt, dass ich alles erreichen könnte, wenn ich mich nur genügend anstrenge, dass meine Leistung etwas zählen würde. Logischerweise wollte ich keine „Quotenfrau“ sein. Wenn die Leistung stimmt, dann muss es doch auch ohne Quote gehen. Fassungslos musste ich über die Jahre das Ausmaß meiner Naivität erkennen und die Tatsache, dass von Gleichstellung eben noch lange keine Rede sein kann.

Das Problem ist: Je mehr solcher Drei-Wetter-Taft-Frauen es gibt, je öfter sie betonen, dass alles bloß eine Frage der Organisation ist, desto weniger trauen wir uns, den Mund aufzumachen. 

Das obige Zitat beschreibt ein Phänomen, das mir ebenso wohl bekannt ist (ich habe viele Jahre lang „Frauenmagazine“ konsumiert): Superwoman, die alles unter einen Hut bringt. Immer top gepflegt und stilvoll gestylt, erfolgreich im Job, geliebte Mutter von mindestens zwei Kindern, glücklich verheiratet mit einem ebenfalls erfolgreichen Cis-Hetero-Mann. Werden erfolgreiche Frauen heute gefragt, wie sie das schaffen, geben sie (meistens) zu, dass sie eine Haushaltshilfe oder Kinderbetreuung (bezahlt oder familiär) haben, das war jedoch lange nicht der Standard. Lange Jahre wurde vermittelt, dass wir tatsächlich alles haben können, wenn wir es uns nur richtig organisieren. Die Formulierung war schon immer missverständlich. Wir haben heute mehr Wahlmöglichkeiten als früher, das heißt aber nicht, dass wir alles zur selben Zeit haben können. Inzwischen möchte ich jedes Mal laut schreien, wenn davon die Rede ist, dass ein Mann seine Partnerin „im Haushalt und bei der Kinderbetreuung unterstützt“. Als ob das allein Sache der Frau wäre, die dankbar sein muss, wenn der Mann sich gnadenhalber herablässt, etwas beizutragen …

Ein weiterer Punkt, bei dem ich zustimmend nicken muss, ist das Lachen über frauenfeindliche Witze. Wie die Autorin zurecht feststellt, haben wir mitgelacht, wenn prominente Männer „tief in die frauenfeindliche Kalauerkiste griffen“. Warum auch nicht, wir fühlten uns ja nicht mitgemeint, wir hatten die weiblichen Klischees, die da verlacht wurden, ja sowieso längst hinter uns gelassen. Es gibt Momente, in denen ich mir diese Zeit zurückwünsche. Es war einfacher, mitzulachen ohne nachzudenken. Heute überlege ich mir in so einer Situation immer, ob es sich lohnt, jetzt den Mund aufzumachen.

Das knallpinke Cover mit einer türkisblauen Handtasche darauf, suggeriert ein „Frauenbuch“, obwohl die Autorin laut eigener Angabe noch nie eines gelesen haben will. Die den einzelnen Kapiteln, die Themen wie Karriere, Mutterschaft und Partnerschaft behandeln, vorangestellten Zitate aus Ally McBeal weisen bereits auf etwas hin, das ich durch meine rosarote Retrobrille nicht sehen konnte: Die Autorin hasst Ally McBeal. Sie benutzt diese TV-Figur rein als Aufhänger, um ihren Text an die Frau zu bringen. Was bleibt, ist ein Text, der als Rechercheobjekt für die Geschlechterrollenbilder der Jahrtausendwende dienen mag. Menschen, die in Kullmanns Generation Ally (Geburtsjahrgänge 1965–1975) aufgewachsen sind, mögen nostalgische Gefühle erleben anhand der vielen popkulturellen Referenzen.

Einen Ansatz derAufklärung darüber, was dieser Text eigentlich sein will, liefert übrigens Katja Kullmanns Vorwort zum „Generation Ally Lifestyle-Guide“ von Birgit Hamm (das türkisgrüne Cover zeigt einen pinken Puschelpantoffel mit Absatz):

Florian Illies lieferte 1998 mit Generation Golf das Poesiealbum zur Ära, »aus Raider wurde Twix, sonst änderte sich nix«, hieß es darin. 2002 erschien Generation Ally, quasi als Fortschreibung der Generation Golf über die neunziger Jahre bis ins Heute – diesmal aus weiblicher Sicht und mit dem bitteren Fazit, dass es insbesondere die jungen Frauen gar nicht so weit gebracht haben, wie geheimhin angenommen.