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Erfahrungsbericht Sachbuch

Brené Brown – The Gifts of Imperfection

Mir ist kürzlich klar geworden, dass ich mich in einer Art Krise befinde. Schon seit einigen Wochen hatte ich das Gefühl, dass ich nie mit allem fertig werde, dass ich zu jeder Zeit, egal was ich tue, immer auch noch mindestens drei andere Sachen tun sollte. Ein konstantes Gefühl der Überforderung, das ich aber hartnäckig dadurch zu bekämpfen versuchte, so viel wie möglich erledigt zu bekommen. Bis dann der Moment da war, an dem mir klar war, dass es so nicht weiter gehen kann. Dass ich eine Pause einlegen muss, um mir darüber klar zu werden, was ich ändern muss.

Eines der Symptome dieser konstanten Überforderung war, dass ich kaum Zeit zum Lesen hatte. Wenige Augenblicke zwischendurch oder spät am Abend, wenn keinerlei Energie mehr da war, um die Zeit irgendwie produktiv zu nutzen. Die Verarbeitung dieser Krise hat mich daran erinnert, dass ich diese Zeit brauche, um zur Ruhe zu kommen, um einerseits Abstand von mir selbst und dem ganzen Leben zu gewinnen und andererseits um neue Einsichten zu gewinnen über mich selbst und über das ganze Leben.

In solchen Situationen greifen dann vielleicht auch andere Menschen zu Büchern, um die sie im Prinzip schon des Öfteren herumgeschlichen sind, aber sich durch den luftigen Untertitel (Let Go of Who You Think You’re Supposed to Be and Embrace Who You Are) oder dieses Gefühl, keine Selbsthilfebücher zu brauchen, abschrecken haben lassen. Obwohl das Buch viele Tipps beinhaltet, habe ich es dann doch nicht direkt als Selbsthilfebuch empfunden. Diese induzieren bei mir meist Reaktionen wie etwa:

  • Jo eh, das ist ja logisch, da brauch ich doch kein Buch dafür.
  • Jo eh, aber bleiben wir realistisch, das funktioniert doch in der Realität niemals.
  • Jo eh, für bestimmte besonders begabte oder beschenkte Personen wird das sicher funktionieren.

Bei diesem Buch geht es mehr um eine Einstellung zu sich selbst und zum Leben. Der übergreifende Bogen ist der Umgang mit dem Gefühl, nicht (gut/schön/erfolgreich) genug zu sein. Es geht darum, unseren Perfektionismus hinter uns zu lassen. Dabei geht es jedoch nicht um tatsächliche Perfektion sondern mehr um unsere Vorstellung davon, wie Dinge zu sein haben. Wir alle haben Standards und Maßstäbe, die wir an uns selbst und an unser Leben anlegen und wenn es uns nicht gelingt, diese zu erfüllen, fühlen wir uns nicht gut genug. Wenn wir nur härter arbeiten würden, dann wären wir endlich glücklich. Diese Gefühle verhindern jedoch, sich tatsächlich glücklich zu fühlen.

Sufficiency isn’t an amount at all. It is an experience, a context we generate, a declaration, a knowing that there is enough, and that we are enough.

Ein wichtiger Punkt ist auch die Tatsache, dass wir oft zu viel Wert darauf legen, was andere von uns denken. Neben unseren eigenen Maßstäben sollten wir uns auch von den Maßstäben anderer Menschen nicht abwerten lassen. Das Konzept true to yourself hat bei mir nie wirklich Wurzeln geschlagen. Jetzt sehe ich es als das Festhalten an den eigenen Werten, auch wenn diese Werte anderen nicht so wichtig sind oder von ihnen sogar mit Augenrollen bedacht werden.

We want to be able to control what other people think about us so that we can feel good enough.

Es wird nicht die letzte Krise gewesen sein und ich werde mir dieses Buch für meine eigene Bibliothek besorgen müssen, damit ich im Ernstfall darauf zurückgreifen kann, um mich wieder daran zu erinnern, was true to yourself eigentlich bedeutet. Zum Abschluss sei noch gesagt, dass die Autorin soziologische Forschung betreibt, ihre Erkenntnisse beruhen also nicht nur auf ihren eigenen Erfahrungen, sondern auf der Analyse von Interviews mit unzähligen Menschen mit den unterschiedlichsten Lebensumständen. Sie verwendet dazu die Methodik der Grounded Theory und hat damit mein Interesse geweckt, mich mit dieser Forschungsmethodik näher auseinanderzusetzen.