CN: Dieses Buch erzählt (oberflächlich im Rahmen eines Reiseberichts) von verschiedenen Episoden der europäischen Geschichte, darunter Krieg, Vertreibung, Antisemitismus, Holocaust. Im Blog Post erwähne ich auch aktuellere politische Entwicklungen (Covid-19-Pandemie, Ukraine/Russland, Hamas/Israel/Gaza).
Letztens war ich in Augsburg zu Besuch und bin von dieser Reise mit mehr Büchern heimgekommen als ich mitgenommen hatte. Bei Angy’s Haferl Antik- An und Verkauf musste ich mir die Bücher anschauen, die auf einer Bank draußen vor dem Schaufenster standen und da fiel mir dieses in die Hand. Als Bahnreisende konnte ich dieses Angebot mit dem Untertitel „Eine Liebeserklärung an Europa heute in 25 Stationen“ unmöglich ausschlagen. Das Geschäft und die Inhaberin sind super sympathisch und es wachte dort auch eine Katze, die von einem sicheren Platz aus das Geschehen beobachtete.
Der britische Reisejournalist Tom Chesshyre nahm die Brexit-Verhandlungen nach dem Referendum 2016 zum Anlass, eine Bahnreise durch Europa zu unternehmen. In zehn Kapiteln beschreibt er seine Fahrt von Mortlake in der Nähe von London bis nach Venedig. Dabei nimmt er jedoch nicht den schnellsten Weg sondern lässt sich durch möglichst viele europäische Länder treiben, um Länder und Leute kennenzulernen. Seine Aufenthalte sind immer nur kurz, er verbringt jeweils eine Nacht in einer Stadt und nutzt die Stunden zwischen Ankunft und Nachtruhe oder zwischen Nachtruhe und Abfahrt für Stadterkundungen. Dabei ist natürlich keine Zeit, eine Stadt wirklich intensiv kennenzulernen, dass dies nicht das Ziel dieser Reise war, stellt der Autor aber auch von Anfang an klar. Es geht um die Eisenbahn und um Europa, um die verschiedenen Länder und Kulturen, die sich mit einem Interrail-Pass erkunden lassen; es geht um Einblicke in die Vielfalt der europäischen Kultur und deren Geschichte.

Manche Orte, die Tom Chesshyre in diesem Buch besucht, habe ich selbst schon bereist. Das beginnt früh in seiner Reise, als er nach der Fährüberfahrt von Dover nach Calais den touristisch überlaufenen Ort Brügge besucht. Ich war selbst nur für einen Tagesausflug in Brügge und fand die Menschenmassen auch ziemlich anstrengend. In Maastricht lässt sich der Autor den Tisch zeigen, an dem 1992 der Vertrag von Maastricht – der Gründungsvertrag der Europäischen Union – unterschrieben wurde. Beeindruckt zeigt er sich vom Bahnhof Leipzig (mein Besuch in Leipzig 2017) und interessanterweise auch von der Effizienz der Deutschen Bahn, die in den letzten Jahren ja Ziel immer härterer Kritik geworden ist (ein Überblick zum Beispiel bei Deutschlandfunk Nova).

Einen Zwischenstop auf der Reise nach Osten legt er auch in Katowice ein, einer wie er selbst schreibt, wenig besuchten Stadt, die ein Teil meiner Polen-Reise im Jahr 2019 war. Dorthin transportierte mich seine Beschreibung des Spodek-Stadions „(im Volksmund Untertasse oder fliegende Untertasse genannt)“, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist.

In Ljubljana besuchte der Autor auch das Eisenbahnmuseum, von dem ich leider nur die Außenbereiche sehen konnte, weil ich mit dem Hund nicht in die Gebäude durfte. Neidvoll lese ich, dass der Autor eine Runde mit einer Dampflok auf den alten Schmalspurschienen rund um den Lokschuppen fahren durfte.
Für mich war es faszinierend, wie nah und gleichzeitig fern sich diese Reise zeitlich anfühlte. Anhand eines Hinweises auf die Hochzeit von Prince Harry und Meghan Markle konnte ich seine Reise auf den Mai 2018 datieren. Das ist aktuell sieben Jahre her. Diese Reise hat der Autor also unternommen, bevor eine Pandemie (ab 2019/2020) die Welt entscheidend verändert hat, bevor Russland 2022 die Ukraine überfallen hat (obwohl die Annexion der Halbinsel Krim 2014 bereits ihre Schatten bis nach Odessa warf), bevor die Terrororganisation Hamas im Oktober 2023 einen Terrorangriff auf Israel unternommen hat. Eine Reise vor der Pandemie fühlt sich für mich wie eine Reise aus dem vorjährigen Jahrhundert an. Als der Autor dann einen Journalisten trifft, der an der Aufarbeitung der Paradise Papers (2016) mitgearbeitet haben will, kommt mir das hingegen vor, als wäre es gestern gewesen. Ich finde es sehr interessant, wie sich manche Ereignisse in der Erinnerung viel deutlicher verankern als andere.
Vollends unterstreichen kann ich den Abschlussappell des Autors: Steigt in einen Zug, lasst euch treiben und erkundet die Welt. Es ist gar nicht notwendig, in ein Flugzeug zu steigen und an weit entfernte Orte zu fahren, schon das Nachbarland bietet viel Interessantes zu sehen, wenn mensch mit offenen Augen und Ohren und mit offenem Herzen durch die Welt zieht.