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Erfahrungsbericht

Caitlin Doughty – Fragen Sie Ihren Bestatter

Es war, als hätte ich mein Leben lang nur Zugriff auf ein beschränktes Gefühlsspektrum gehabt, als wäre ich wie eine Flipperkugel zwischen den Engen der Skala hin und her geschnellt. Bei Westwind wurde meine emotionale Bandbreite schlagartig erweitert. Ich erlebte Augenblicke der Euphorie und der Verzweiflung, die ich nie für möglich gehalten hätte.

Die Autorin schafft es sehr geschickt, ihre persönlichen Erfahrungen als Mitarbeiterin im Krematorium in eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem kulturellen Phänomen des Bestattungswesens zu verpacken, ohne dabei den Humor zu verlieren. Diese Form der (sachlichen) Beschäftigung mit einem bestimmten Thema anhand eigener Erfahrungen gefällt mir zunehmend besser. Caitlin Doughty hat keine Scham dabei, sich als unerfahrene Kremationsmitarbeiterin auch selbst auf die Schaufel zu nehmen, und beschreibt hingebungsvoll all ihre Zweifel an ihren eigenen Fähigkeiten und den Mechanismen der amerikanischen Bestattungskultur. Von der Kremierung Obdachloser auf Staatskosten bis zur Einbalsamierung prominenter Menschen vor der Bestattung auf einem Nobelfriedhof (in Kalifornien gibt es sowas selbstverständlich) ist alles dabei.

Wenn man das Thema wirklich an sich heranlässt, dann kommt man nicht umhin, sich zu fragen, was man eigentlich über die Bestattungskultur im eigenen Land weiß. Ich selbst war als Studierende zuletzt auf einem Begräbnis, wobei ich zugeben muss, dass mir damals mehr die gesellschaftlichen Erwartungen an mich Sorge bereiteten als die Trauer um die zu Begrabende (es handelte sich um eine nahe Verwandte meines damaligen Lebensgefährten). Der grundlegende Ablauf einer traditionellen Bestattung auf einem katholischen Friedhof mit vorangehender Trauerfeier und darauf folgendem Leichenschmaus ist mir ein Begriff, jedoch fehlt mir jegliche Vorstellung davon, welche Möglichkeiten neben dieser traditionellen Variante in Österreich sonst noch möglich sind.

Tatsächlich habe ich vor einigen Monaten ein handschriftliches Testament verfasst, das dafür sorgen soll, im Falle meines plötzlichen Ablebens nicht mit mir verwandte Menschen mit einem Teil meines Erbes zu bedenken. Was mit meinem Körper dann geschehen soll, war mir jedoch damals nicht in den Sinn gekommen, und ist mir auch heute noch gleich. Wenn meine Familie sich einen Ort wünscht, an dem sie mich besuchen kann, soll sie diesen haben. Ob das nun ein Platz im Familiengrab ist oder eine Urne hinter einer Steinwand oder ein Baum, den sie auf einer Lichtung im Wald pflanzen, scheint für mich selbst keinen großen Unterschied zu machen. Diese Dinge sind wichtig für die Hinterbliebenen. Aber nicht für den Verstorbenen, der sich zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon an einem ganz anderen Ort befindet. Wo auch immer das dann sein mag …

Der Sinn von Kultur besteht darin, Antworten auf die großen Fragen der Menschheit zu liefern: Leben und Tod. Als jungem Mädchen hatte mir meine Kultur zwei Dinge weiszumachen versucht: zum einen, dass es für uns alle am besten ist, den Tod im Verborgenen zu halten – eine fette Lüge, wie ich während meiner Arbeit bei Westwind begriffen hatte, einem Bestattungsunternehmen, das letztlich auch nur Teil jener großen Verschwörung war, den Tod komplett unter den gesellschaftlichen Teppich zu kehren.